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Stummorgel

Die Baumholderer Stummorgel (Elisabeth Jost)

Heimatkalender 2004, Landkreis Birkenfeld

Wie kam die Schweinschieder Stumm-Orgel nach Baumholder?

Die Orgelbauer Stumm aus Sulzbach bei Rhaunen haben in der Zeit von 1715-1896 während sechs Generationen mit rund 400 Kirchenorgeln, die überwiegend erhalten sind, eine einzigartige Orgelbaulandschaft hinterlassen. Ihre handwerkliche Meisterschaft in der mechanischen Orgelbaukunst wird in unserer Zeit erst so recht gewürdigt, hat diese doch alle Unbilden und Wechsel überdauert. Die meisten Orgeln stehen in kleinen Dorfkirchen des Hunsrücks und der angrenzenden Gebiete.

Auch die evangelische Kirche Baumholder hatte bereits 1799 eine Stumm-Orgel, der eine zweite 1879 folgte. Von diesen Vorgängerorgeln fand man in der dritten Orgel von 1974 noch Stummsche Orgelpfeifen, so dass bei der anstehenden Restaurierung zur Jahrtausendwende überlegt wurde, diese zu ergänzen. Als Elisabeth Jost, die 1. Vorsitzende des Stumm-Orgelvereins, ein Konzert zugunsten der Restaurierung gab, erzählte sie Pfarrer Burkard Zill, dass eine komplette historische Stumm-Orgel zu haben sei.

Dies hatte folgende Bewandnis:

Heiner Schneider, der Ehrenvorsitzende und Gründer des STUMM-Orgelvereins Rhauen-Sulzbach ev.V., wollte in der Heimat der Orgelbauer STUMM ein Orgelmuseum einrichten. Nachdem sich dies in Suzlbach in der Früheren Dorfschule nicht realisieren ließ, fand sich zunächst eine viel Zuspruch findende Möglichkeit, im repräsentativen Gebäude des ehemaligen Amtsgerichtes in Rhaunen. Dorthin wurde denn auch bald eine komölette STUMM-Orgel dank der Verbindungen durch Prof. Dr. Riedel und dem Exoperten Prof. Dr. Jürgen Eppelsheim eingelagert: die Schweinschieder STUMM-Orgel von 1834.

Wie kam es dazu?

Im August 1963 war diese Orgel in Schweinschied ausgebaut und in der Scheune von Rosa Paulus gelagert worden, die von dort für 5000 Mark über Prof. Dr. Eppelsheim für das Münchner Stadtmuseum gekauft und ins Depot der Instrumentensammlung gebracht worden war.

Was war in Schweinschied geschehen?

Die Ev. Kirchengemeinde Schweinschied hatte in schwierigen Zeiten 1825 eine neue Kirche an Stelle eines zuvor dort stehenden alten Kappellchens gebaut und, als die Zeiten finanziell besser waren, eine STUMM-Orgel einbauen lassen. 1834 lieferten die Orgelbauer Franz Heirnich und Karl Stumm aus Sulzbach die Orgel, die folgenden Maße hatte: Höhe 3,30 m, Breite 3,40 m und Tiefe 1,20 m. Im Verhältnis zur Kirche, deren Schiff ein einfacher Saalbau ist, war die Orgel zu groß, so dass sie im Chor aufgestellt wurde und zwar auf zwei freistehenden Pfosten (ähnlich der in Rhaunen). Ein Foto von 1925, anlässlich der Hundertjahrfeier der Kirche, zeigt, dass der Raum unter der Orgel inzwischen mit Holz verkleidet ist. Wahrscheinlich wegen der damit verbundenen düsteren Atmosphäre entschloss sich die Gemeinde nach dem II. Weltkrieg, die Kirche völlig neu zu gestalten, zumal das Gebälk morsch geworden war. "Es war im Herbst 1963, da ging der Gemeindediener mit der Schelle durch das Dorf und verkündigte: "Jedermann, der Zeit hat, soll heute Mittag mit Säge, Axt und so weiter an die Kirche kommen helfen abreißen!" So wurde nun das ganze Holzwesen, samt Treppen und Pfosten herausgerissen und versteigert." Die Kirche wurde verwandelt, erhielt neue helle Bänke und auch der Anstrich war in hellen Farben gehalten. Der Chor ist um eine Stufe erhöht, die Fenster im Chorraum beleuchteten nun ungehindert das Kircheninnere. Auf der neuen Empore über dem Kircheneingang wurde eine Kleinorgel der Orgelbau-Anstalt "Eule" aus Batzen aufgestellt.

Als nun in Rhaunen das Orgelmuseum spruchreif wurde, konnte die Verbandsgemeinde Rhaunen 1994 die Schweinschieder Orgel vom Münchener Stadtmuseum zum gleichen Preis, nämlich 5000 DM, kaufen. Aber schon vier Jahre später begab sich die Schweinschieder Orgel erneut auf eine Reise. Wegen der wirtschaftlich schwierigen Zeiten und ausbleibender Zuschüsse, musste die Idee des Orgelmuseums in Rhaunen-Sulzbach aufgegeben werden, was zu Verstimmungen und gar zu Verletzungen im rührigen STUMM-Orgelverein führte. Ein potenterer und einflussreicherer Bewerber, die Orgelbaufirma Oberlinger aus Windesheim, hat inzwischen das einzige Orgelmuseum in Rheinland-Pfalz gebaut. Nachdem 1998 die süddeutsche Orgelbaufirman Vleugels die Schweinschieder Orgel von Rhaunen nach Hardheim transportiert hatte, lag sie dort, bis die Baumholderer sie in Augenschein nahm. Pfarrer Burkard Zill dachte nach dem ersten Ansehen "das ist nur noch ein Bretterhaufen". Aber Orgelbauer Rainer Müller aus Merxheim, der mitgefahren war, konnte "trotz des desolaten und chaotischen Zustands" festellen, dass die Substanz zu einem sehr erfreulichen Anteil erhalten geblieben war.

Dieser Eindruck verstärkte sich zunehmend während der zwei Jahre dauernden Restaurierungsphase in der Werkstatt in Merxheim. Von den 590 Pfeifen von 1834 fehlten nur die 33 Pfeifen aus hochwertigem Zinnanteil des Prospektes, die bereits 1917 während  des 1. Weltkrieges abgegeben werden mussten und durch Pfeifen aus bronziertem Zink ergänzt worden waren, ein Schicksal, das viele Orgeln zu erleiden hatten. Diese schleicht klingenden Pfeifen waren beim Abbau 1963 gar nicht mitgenommen worden. Die Orgelbaufirman Rainer Müller, mit inzwischen vier fest angestellten Mitarbeitern, hat sich in den letzten Jahren einen Namen hinsichtlich der konsequenten Restaurierung historischer STUMM-Orgeln erworben. Sie kam aus dem Staunen nicht heraus. Eine Sensation bedeutet das vollständig erhaltene Trompetenregister mit sonst nicht mehr existierenden originalen Zungenblechen und der Kanaltremulant, Details, die dem Trend zu Veränderungen in den Sechsziger Jahren noch nicht zum Opfer gefallen waren. In Baumholder ergänzt wurde ein Nachbau eines Tretbalgs nach der Kirschrother STUMM-Orgel von 1850, die dem Bestreben unserer Tage nach variablem Winddruck und entsprechend altem Spielgefühlt enspricht, eine Alternative zum Elektrogebläse, das einen stabilen Winddruck von 78 mm/Wassersäule liefert. Der Stimmton liegt bei sogenannten Stummschen Cornetton, d.d. 463 Hz bei 20°C. Obwohl die Orgel relativ klein ist, umfasst sie alle Registertypen, die es gibt: Flöten, Strecher und Zungenpfeifen. Bei der festlichen Indienstnahme am 12. Juli 2003 und dem ersten großen Orgelkonzert am 7. September konnten die zahlreichen Zuhörer erfahren, welchen Schatz sie erworben haben, denn Klangfarben-Reichtum und Schönheit übertreffen alle Erwartungen.

Dem Handwerkerbrauch folgend, wird nach der Fertigstellung der Orgel von den Orgelbauleuten so viel Wein getrunken, wie die mächtigeste Orgelpfeife fasst. Entsprechend hatt die evangelische Kirchengmeinde Baumholder ein Fässchen mit 60 Litern Nahewein besorgtz, den die überaus zahlreich erschiene Gemeinde bei lebhaften Gesprächen genoss.

Was hat nun diese Orgel nach der Restaurierung gekostet?

Die Kirchengemeinde Baumholder konnte zunächst ihre bisherige Orgel für 55.000 Euro an eine Gmeinde im nördlichen Hunsrück gut verkaufen. Auch erstattete sie der Verbandsgemeinde Rhaunen 2.500 Euro für die Summe, die diese an das Münchener Stadtmuseum  bezahlt hatte. Die Gesamtkosten einschließlich des Tretbalges beliefen sich auf 95.000 Euro. So günstig wird nie wieder eine Stumm-Orgel von dieser Qualität erworben werden können. Gratulation!

Eine Schweinscheider Abordnung von Bürgern und Ehemlaigen, die die Orgel noch vor deren Abbau kannten, bemerkten, wie alle Anwesenden, dass die Stumm-Orgel in Baumholder jetzt den Eindruck erwecke, als ob sie schon immer dort gestanden habe. Mit großem handwerklichen Geschick und Gespür wurde der Originalprospekt nach der Neuanfertigung der gesamten Emporenbrüstung durch einen ortsansässigen Schreiner nach den Plänen des Orgelbaubetriebs Rainer Müller integriert, so dass die orgel optisch wie klanglich einen erhebenden Eindruck bietet.

Eine von Albert Maurer aus Schweinschied im JUni 2003 erstellte, zwölfseitige Schrift, aus der wir zitiert haben, beschreibt in Bild und Text "Die evangilische Kirche zu Schweinschied". Im letzten Kapitel "Die Reise unserer Orgel" heißt es abschließend: "Möge sie nach, `langer Reise´ in dieser Kirche für immer eine Bleibe haben und ihre Zuhörer, ebenso ihre Betrachter erfreuen."

Mit Friedrich Schillerschem Pathos sagen wir:

"Die Orgel tönt in feierlichen Klängen,

nur der hohen Dingen ist ihr Schall geweiht.

Sie stimmt das Herz zu heil´gen Lobgesängen,

sie fühlet mit den Menschen Freud und Leid;

sie schallt der frohen Braut am Hochaltare,

und klagt mit den Betrübten an der Bahre."

Prospekt

Die Schweinschieder Stumm-Orgel passt sich so gut in den Kirchenraum ein, dass der Eindruck entsteht, als hätte sie schon immer in Baumholder gestanden.

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Das abgebeizte und restaurierte Gehäuse

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Die Zinnpfeifen

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Unsere Orgel mit den beschrifteten Registerschildchen mit Tusche

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Die Tretbalganlage

Chronologischer Kurzüberblick

- Erbaut 1834 durch die 4. Generation der Gebr. Stumm aus Sulzbach bei Rhaunen in die evangelische Kirche zu Schweinschied; hierzu Errichtung einer eigenen Orgelempore im Altarberich.

- Um 1917 Entnahme des Zinnprospekt zur Munitionsherstellung; in der Folgezeit Einbau von bronzierten Zink-Prospektpfeifen.

- 1963 Außerbetriebnahme der Orgel anlässlich umgestalteter Kirchenrestaurierung.

- 1963 Ausbau der Orgel und Zerstörung der Keilbalganlage; Einlagerung in der Scheune von Rosa Paulus.

- Auf Veranlassung von Prof. Dr. J. Eppelshiem/München Ankauf durch das Münchner Stadtmuseum und dortige Einlagerung.

- 1994 Rückkauf durch die Verbandsgemeinde Rhaunen für ein dort geplaantes Orgelmuseum.

- Nach Scheitern dieser Museumspläne Transport und Einlagerung in einer Schuene der Firma Orgelbau Vleugels  in Hardtheim.

- 2001 Erwerb durch die Ev. Kirchengemeinde Baumholder.

- 2002/2003 Restaurierung durch die Orgelbauwerkstätte Rainer Müller, Merxheim-Nahe:

  • Gründliche Reinigung aller Orgelteile
  • Aufarbeitung von Gehäuse- und Spieltischbereich
  • Technische Instandsetzung
  • Rekonstruktion fehlender Bauteile
  • Rekonstruktion des Zinnsporspektes und einzelner Innenpfeifen
  • Restaurierung und nachintonation des gesamten Pfeifenwerkes
  • Erweiterung des Pedalumfanges um 7 claves auf C - c´
  • Rekonstruktion der hist. Tretbalganlage
  • Einbau eines elektr. Gebläses unter Einbeziehung eines der Keilbälge als Magazin

- Feierliche Inbetriebnahme der Orgel im Juli 2003 in Baumholder.

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